Erste Eindrücke, die Saat gedeiht

1933 0 0

"Da seid ihr ja!", trällerte es plötzlich aus einem Durchgang und Sillana stürzte sich auf Gavín, umarmte ihn stürmischer als er erwartet hatte. Sie war stark geworden über das letzte Jahr und roch nach Sand und etwas, was er als Seife identifizieren würde.

"Hallo, Mutter!" Sie umarmte Freyrín, die wohl ebenfalls die Stärke der Tochter zu spüren bekam. "Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass ihr nicht mehr kommt!"

"Doch, Sill, wir sind da." Freyrín fuhr der Tochter durch die roten Locken, was ihr einen bösen Blick und ein sanftes Lächeln einbrachte. "Magst du uns alles noch zeigen?"

"Aber sicher. Ihr habt auch Getränke dabei, wie ich sehe."

"Ja." Gavín klopfte auf die beiden Schläuche, die sie mitgenommen hatten. Darin befand sich für ihn Wasser mit einem Schuss Apfelsaft und bei Freyrín Wasser mit etwas Rotwein. Nur für den Geschmack. Sillana war damit zufrieden.

"Sehr gut. Es wird etwas dauern, aber wir haben ja die Zeit. Die Lehrer werden euch erst empfangen können, wenn der Unterricht endet. Also erst am Nachmittag."

"Das macht es nun nicht besser.", murmelte Gavín, aber Sillana klopfte ihm gegen die Schulter.

"Komm, Bruderherz, wozu die Aufregung? Du kannst lesen, schreiben, rechnen und hast von Mutter einiges beigebracht bekommen." Dabei warf sie ihrer Mutter einen Blick zu. "Hoffe ich jedenfalls. Stellt er sich dumm an?"

"Manchmal, aber er ist eigentlich gescheit genug."

"Redet nicht so, als wäre ich nicht da.", maulte Gavín, schüttelte die Hand seiner Schwester ab. "Willst du etwa damit sagen, ich bin nicht schlau genug?"

"Nein, Gav, ich will damit sagen, du hast gute Chancen." Sillana zog die Stirn kraus. "Und wenn ich dir helfen soll, dann sei etwas netter. Ich hab die Lehrer nicht umsonst zusammengeholt."

"Ich weiß, aber ich... danke." Er schluckte und neigte leicht den Kopf. "Wirklich, danke."

Die ältere Schwester nickte mit einem Blick, der schon besagte, dass er ihr dankbar sein sollte. "Gut, dann lasst uns anfangen."

Sillana ging ihnen voraus und beschrieb die Universität in ihrer ganzen Größe. Gavín hatte keine Augen dafür, er war viel zu aufgeregt, versuchte sich aber so viel wie möglich zu merken.

Der lehrende Bereich bestand aus der eigentlichen Universität mit ihren Lehrräumen, Lehrerzimmern, Büros, Laboren und Praxisräumen. Lager für Materialien wurden separat gebaut, welche sich daran anschlossen.

Es gab vier große Gebäude auf der linken Seite des Campus für die Studenten und die Angestellten. Einige der Professoren und Lehrmeister besitzen wohl eigene Räume im Hauptgebäude.

Die Werkstätten und unterstützenden Gebäude wie die Küche befanden sich auf der rückwärtigen Seite raus zu den Gärten und Weiden, die Gavín tröstlich vertraut vorkamen.

Die drei ehemaligen Bibliotheken wurden von einem riesigen Block aus Stein, Metall und Glas eingefasst. Er hält das Wetter - und somit auch die Witterung - draußen, verhindert so den Verfall des großen Wissensschatzes, beschert den Bibliotheken Schutz und den Schülern einen Ort der Ruhe und Kontemplation.

Die beiden Springbrunnen plätscherten und murmelten vor sich hin, brachten Kühle und Feuchtigkeit, wenn Bedarf bestand. Trotz des nahenden Herbstes war es unter der Glaskuppel immer noch recht warm  und die mehr oder weniger direkte Sonneneinstrahlung half nicht dabei, die Wärme zu reduzieren. Im Frühling würde es sicher angenehm und im Sommer brütend heiß sein. Ob man Eier auf den Steinen braten konnte, wenn es so warm war? Mit Sicherheit.

Wenigstens hatte man von den Balustraden an den Seiten mit ihren massiven Pfeilern einen guten Ausblick auf diesen Versuch. Sie zogen sich zwischen zwei Stockwerken entlang, manchmal standen Stühle und kleine Tische herum für die eher entspannteren Studenten. Aber auch gab es Möglichkeiten, sich mit einem Buch oder Getränk unter die Bäume im Hof zu setzen, was Gavín für den ersten Anreiz nahm, dies auch zu tun, sollte er jemals die Zeit haben. Und auf die Bäume konnte er auch klettern, falls er sich lieber dort oben aufhalten wollte.

"Und nun kommen wir zur eigentlichen Universität.", erklärte Sillana, ihre schmale Schreibhilfe unter den Arm geklemmt. Sie hatte eine Ledertasche um den Körper gehangen, die abgenutzt, alt und zuverlässig ausschaute. Seine Schwester deutete auf das große Gebäude, welches seltsam golden in der Sonne glitzerte.

"Hier befinden sich die meisten Vorlesungssäle, einige kleinere Büchereien und Labore, welche nicht nach außen verlagert worden sind. Damals. Als die Altvorderen noch unter uns wandelten." Sie kicherte. "Entschuldigt, so alt ist die Universität noch nicht."

"Die Altvorderen?" Gavín hörte den Begriff zum ersten Mal und wurde hellhörig.

"Tselar. Die Altvorderen." Sillana schüttelte den Kopf. "Das würde zu weit gehen. Du wirst über sie hören irgendwann. Willst du eigentlich auch magischen Unterricht nehmen?"

"Nicht wirklich. Die Theorie würde ich mir schon gerne anschauen, aber magisches Potential hat sich bei mir noch nicht gezeigt.", lächelte er schmal. Er empfand es immer noch als ungerecht, dass die Magie bei manchen Menschen so natürlich war wie ein Reflex und manche Menschen einfach gar keine Affinität dazu hatten. Zu dumm, dass man Magie nicht einfach erlernen konnte.

"Zu schade, aber bei mir auch nicht. - Falls du also die Theorie erlernen willst, dann wirst du über die Tselar hören. Und ich werde dir jetzt nicht drei Jahre an Wissen erklären und in den Kopf hämmern. Du wirst das alles noch lernen."

"Apropos lernen", grinste Gavín sie nun an, "willst du uns nicht deinen Freund vorstellen?"

"Nein.", kam die ernste Antwort. "Er ist im Außendienst unterwegs."

"Außendienst?"

"Ja. Das sind die Leute, welche neues Wissen herantragen. Trustlerar, wenn du den Begriff wissen willst."

"Also Archäologen?"

"Nein, das sind Grabesforscher. Unter anderem . Trustlerar suchen Bücher, Schriftrollen, generell Wissen oder neue Techniken, die sie an die Universität überbringen können."

Sie nährten sich nun den offenen Doppeltoren des Hauptgebäudes, welche an die stützenden Wände angelehnt waren. Erloschene Fackeln säumten die Wände, mehrere Kandelaber trugen Dutzende Kerzen, welche noch nicht entzündet waren.

"Was ist... das?" Gavín trat an das heran, was ihn so schockierte: mitten in der Eingangshalle stand eine Statue, blau-grau, furchtbar lebendig mit sehr echt wirkender Kleidung und einem erschrockenen bis überraschten Gesichtsausdruck. "Oder eher, wer?"

"Das ist Olther." Sillana trat an Gavín heran, ihr Blick seltsam abwesend. "Wohl ein Schüler vor etwa einhundert Jahren laut den Erzählungen der Lehrer. Er hat sich selbst eingefroren, weil er sich nicht an eine Anleitung gehalten hat. Er dient nun als Mahnung an alle. Und als Forschungsobjekt, schließlich wollen wir ihn wieder auftauen."

"Er lebt noch?" Freyrín trat bis an den Sockel der flachen Säule heran.

"Angeblich ja." Sillana zuckte mit den Achseln. "Das ist einer der Gründe, warum ich lieber auf die Drachen vertraue als Magie. Und ich bin bei so etwas sehr froh, keine Magie wirken zu können. Ich würde nichts mehr bedauern, als Thabo zu verletzen oder sogar zu verlieren. - Oder euch.", fügte sie rasch nach einer kleinen Pause hinzu, als hätte sie ihre Familie fast vergessen.

"So heißt er also.", grinste Gavín, stieß sie mit der Schulter an, was Sillana dazu veranlasste, ihm einen Knuff mit dem Mittelfingerknöchel auf die Schulter zu geben. Was ordentlich schmerzte. "Au, das war gemein."

"Das ist meine Aufgabe als große Schwester." Sie streckte ihm die Zunge heraus. "Kommt, lasst uns noch etwas essen. Vielleicht haben wir Glück und sind die Ersten. In etwa einer Stunde endet der Unterricht."

"Wieso, gibt es danach nichts mehr?" 

"Doch, aber du willst lieber frisch essen als mehrfach aufgewärmtes Fleisch zu bekommen, oder?"

"Am liebsten gar kein Fleisch, wenn es nach mir geht. Aber nein, wohl nicht."

"Du isst kein Fleisch mehr?" Sillana drehte sich im Gehen leicht zu ihm.

"Wenig." Gav zuckte mit der Schulter. "Ist auch kein großes Thema. Ich nehme eher gebratene Pilze."

"Hu, hätte ich nicht gedacht."

"Da fängt es ja schon an.", kam es amüsiert von Freyrín.

"Mutter!", riefen beide protestierend aus, was die Druidin zum lachen brachte.

In der Küche bekamen sie Eintopf im Brotteller gereicht - also ein ausgehöhlter Laib Brot mit Eintopf darin - und frischen Wein, Saft oder Wasser. Sie speisten draußen vor der Küche und nicht im großen Speisesaal der Universität, denn zwei der Lehrer hatten Freyrín erkannte und sie bereits mit Fragen belagert, unabhängig von ihrem Essen in der Hand. Die Druidin war höflich genug gewesen, aber Gavín sah, wie sie allmählich die Geduld verlor. Seine Mutter hatte Hunger und auch wenn sie keine direkte Magie beherrschte, so war sie doch eine Naturgewalt, wenn man zwischen ihr und ihrem Essen stand.

"Wie ist das eigentlich, kommt ihr mit?", fragte Gavín, als er sich den Mund abgeputzt hatte. Hinter ihnen war allmählich das Geschnatter der Studenten zu hören, welche in den Speisesaal strömten.

"Ich nicht." Sillana knabberte an den Resten ihres Brotlaibs herum. "Ich habe damit nichts mehr zu tun, es liegt nun alles an dir. Aber keine Sorge, ich habe dich nur in den höchsten Tönen gelobt, also kein Druck."

"Die Nachricht von Balthasar würde auch helfen.", murmelte Freyrín, als sie auf einer Nuss als Nachtisch herumkaute. "Aber ich denke, ich werde wohl mitkommen können, dürfen oder müssen. Als deine Mutter, meine ich. Aber als eigentlich Erwachsener solltest du mich nicht brauchen." Bei seinem Gesichtsausdruck wurde sie wieder ernst. "Ich komme mit, wenn sie mich lassen."

"Gut.", murmelte Gavín erleichtert. Allein war es immer etwas schwierig. Er würde sich behaupten können, aber ob er überzeugend war, stand auf einem anderen Blatt. Er erhob sich, als Sillana es auch tat.

"Denkt dran, die Lehrer und der Professor tun dies freiwillig.", ermahnte sie ihn. "Du bist eigentlich viel zu früh für die öffentlichen Aufnahmeprüfungen und nur dadurch, dass du der Sohn einer Druidin und mein Bruder bist, empfangen sie dich außerplanmäßig. Blamiere mich also bitte nicht."

"Nana, ich würde nicht im Traum daran denken, dich jemals zu blamieren.", gab er ebenso ernst zurück, nutzte dennoch ihren Kosenamen.

"So hat mich schon lange niemand genannt..."

"Wie nennt dich dein Freund?"

"Lana, aber das geht dich nichts an. Oder Schatz. Oder beides." Sie schaute sich um und winkte einem Mann in einer roten Robe zu. "Das ist Roland, Lehrer der magischen Theorie und mein Mentor. Er wird euch begleiten."

Der Mann in der roten Robe kam näher, seine Hände in den Ärmeln versteckt. Er hatte kurz geschorenes Haar und stahlblaue Augen und war nur ein weniges größer als Gavín.

"Sillana.", sprach er. "Das ist also Euer Bruder?"

"Ganz recht, Meister Roland." Sillana verneigte sich und Gavín tat es ihr nach einem Herzschlag gleich. Schaden konnte es schließlich nicht.

"Und..." Er drehte sich zu Freyrín, die nur leicht den Kopf neigte.

"Freyrín.", sprach sie unbeeindruckt. "Zu Euren Diensten."

"Und zu den Eurigen." Roland lächelte schmal, aus seinem Ärmel schälte sich eine erstaunlich starke Hand. Diese nahm nun die Hand von Freyrín und der Meister imitierte einen Kuss auf ihren Handrücken. "Es ist selten, dass wir Besuch von einer Druidin bekommen. Seid willkommen."

"Habt meinen Dank." Sie warf ihm trotzdem ein freundliches Lächeln zu. "Werdet Ihr unser Fürsprecher sein?"

"Weder Für- noch Gegensprecher. Ich werde Euren Sohn testen, genau wie die anderen Meister." Er räusperte sich. "Aber wir können schon gehen, die anderen Meister werden uns gleich folgen."

"Ich verabschiede mich, die Projekte erledigen sich schließlich nicht von selbst. Bruder, Mutter, Meister." Sillana verneigte sich aus der Hüfte heraus und verschwand geschwinden Schrittes Richtung Bibliotheken.

"Nun denn." Roland deutete auf eine der beiden Treppen, die nach oben und ins Innere der Universität führte. "Folgt mir bitte, der Dekan erwartet uns."

Gavín schaute seine Mutter an, die nur andeutete, dass er vorgehen sollte. Schließlich ging es ja um ihn und Gavín folgte dem Mann, der fast keine Geräusche von sich gab, seine Schritte waren nicht zu hören.

Roland führte Mutter und Sohn vorbei an Vitrinen mit Büchern, Pergamenten und gefundenen Stücken von Vasen und anderen Haushaltsgegenständen wie Teller oder Tassen und anderen Dingen, die weder das eine noch das andere waren.

Weitere Treppen folgten mit Bildern von Ruinen, Lehrern, Zeremonien von Preisverleihungen oder Bilder von Fundstücken, die Gavín allesamt fremd waren.

Der Lehrer für Magische Theorie blieb plötzlich vor einer eisenbeschlagenen Eichentür stehen. Eine Rune prangte direkt in der Mitte und darüber hing ein Klopfer, ebenfalls aus Eisen. Roland betätigte diesen und nach wenigen Sekunden schwang die Tür leise quietschend nach innen auf.

Das Büro des Dekans war riesig und schien das gesamte obere Stockwerk einzunehmen. Der Eingang bestand aus einer Art Diele mit Mänteln, Schuhen und zwei Gehstöcken. Linkerhand schloss sich eine Leseecke an, in der auch ein kleiner Kamin angebracht war. Ein kleiner Rundtisch mit einer Vase rundete das Bild ab, gefolgt von mehreren deckenhohen Regalen, auf der sich Bücher über Bücher reihten in allen möglichen Größen und Farben, bis sie in etwas verschwanden, das wie ein abgetrennter Schlafbereich ausschaute.

Auf der rechten Seite befand sich direkt eine Werkbank mit verschiedenen Regalen und Werkzeugen. Angeschlossen daran befand sich eine Art großer Wohnbereich, lichtdurchflutet und mit mehreren Sesseln und einem Sofa versehen, alle in dunklem Rot und sehr gemütlich ausschauend.

Danach folgte eine kleine, wenn auch gut ausgestattete Küche mit einem eisernen Ofen, Küchenutensilien und Geschirr, ein paar Dauerwürste hingen an kleinen Haken an der Wand, einträchtig neben großen Tassen und Krügen.

Und ganz hinten, am Ende des großen Raumes, welcher schon mehr eine kleine Wohnung war, befand sich das Büro des Dekans, eine bücherbewehrte Bastion mit einem riesigen Schreibtisch aus Mahagoni, auf dem sich Federhalter die Ehre gaben.

In dem großen Ledersessel saß ein älterer Mann, schrieb etwas mit einer großen weißen Feder kratzend auf ein Pergament. Er hatte kurzes, graues Haar und einen ebenso grauen, akkurat gestutzten Bart, der sein Gesicht einrahmte und ihn seltsam königlich wirken ließ. Er war deutlich älter als Roland oder zumindest wirkte er so.

"Dekan Rogíer." Roland neigte den Oberkörper. "Ich bringe Euch den jungen Master Gavín und seine Mutter, die Druidin Freyrín."

Rogíer schaute auf und nickte. Weder sah er freundlich noch abweisend aus, eher neutral, hätte Gavín gesagt. "Ihr seid pünktlicher als erwartet. Sehr gut, sehr gut. - Bitte setzt Euch schon einmal. Meister Roland, seid so freundlich und bereitet Tee. Frucht, wenn es beliebt. Die anderen kommen noch?"

"Ja, Dekan." Roland forderte mit Handbewegungen auf, Mutter und Sohn in den Sesseln Platz zu nehmen, bevor er den Ofen entzündete und anfing, mit etlichen Gerätschaften Krach zu machen. So viel Aufwand nur für Tee...

Gavín war nervös. Er versuchte, nicht mit den Füßen zu wippen oder andere Dinge zu tun. Freyrín drückte nur einmal kurz seine Hand, was ihn kaum beruhigte, aber er hörte auf, in der Gegend herumzuschauen.

Roland stellte eine Zuckertasse mit braunem Zucker auf den Tisch, gefolgt von winzigen Silberlöffeln auf feinen Untersetzern aus Porzellan mit ebenfalls feinen Tassen aus Porzellan, die mit filigranen Linien bemalt waren, die wohl Rosen und deren Ranken darstellen sollten.

Über das Kratzen der Feder und dem leisen Köcheln des Wassers war kaum etwas zu vernehmen, Außengeräusche gab es keine, was Gavín noch nervöser machte und er wäre beinahe aufgesprungen, als es an der Tür klopfte und zwei weitere Erwachsene in den Raum traten.

Der erste Mann hatte lange, glatte, fast schwarze Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Er trug eine fein gearbeitete braune Robe mit deutlich kürzeren Ärmeln als die von Roland. Er schaute so ernst wie Rogíer und hatte fast ebenso viele Falten im Gesicht.

Der zweite Mann trug keine Robe, dafür eine praktische Hose mit vielen Taschen, ein Hemd aus Leinen - welches wohl mal weiß war, aber nun ein ausgeblichenes Beige aufwies - und einen Werkzeuggürtel über der Brust. Er erschien Gavín ausnehmend jung für einen Meister, aber lächelte zurück, als der Mann ihm winkte.

"Ah, Logan, Halivar.", begrüßte Roland die anderen beiden Meister. "Bitte, setzt Euch, wenn Ihr wollt, der Tee ist gleich bereit." Dann stellte er die Neuankömmlinge vor. "Verehrte Druidin Freyrín und Master Gavín, das sind die beiden Meister Logan aus der theoretischen und praktischen Runenkunde und Meister Halivar aus der Archäologie."

Gavín stand sofort auf und verneigte sich vor beiden. "Eine Freude, Eure Bekanntschaft zu machen, Meister."

"Das werden wir sehen.", lachte Halivar und Gavín mochte ihn direkt. "Du bist also derjenige, der von Sillana so angepriesen wurde?"

"Ich weiß nicht, was sie Euch erzählt hat, Meister, aber Sillana ist meine Schwester, das ist korrekt."

"Ein bisschen jung für die Universität.", murmelte Logan, ließ den Blick über Gavín wandern. "Ich hoffe, er hält die Versprechen seiner Schwester." Er wandte sich an Freyrín. "Verehrte Druidin, eine Freude, Euch in diesen bescheidenen Räumlichkeiten begrüßen zu dürfen."

"He!", kam es aus dem Büro von Rogíer.

"Nicht in Euren, Dekan! In der Universität!"

"Macht es nicht besser, Meister Logan."

Halivar lachte nur, stellte sich ans Fenster und schaute hinaus, als hätte er alle Zeit der Welt. Logan setzte sich in den Sessel in der gegenüberliegenden Ecke und begann eine Schriftrolle zu lesen, die er aus seinem Ärmel gezogen hatte.

Als Roland den Tee servierte, klopfte es erneut und vier weitere Personen traten ein. Eine untersetzte Frau mit pechschwarzen Haaren in einer dunkelblauen Robe, ein kränklich aussehender Mann mit schütterem Haar in einer ebenfalls grauen Robe, ein doch recht jung wirkender Mann in einer grünen Robe und, zu Gavíns maßloser Überraschung, ein Hochelb in silberner Robe, die dunkelblauen Hautbemalungen und die bläuliche Haut noch mehr betonte.

"Bitte, setzt Euch." Roland deutete auf die Sessel, als Dekan Rogíer sich erhob. "Master Gavín? Wärt Ihr so freundlich und würdet Euch dorthin stellen, damit wir euch alle sehen können?" Der Meister deutete auf einen Platz in der Mitte des Raumes vor den Sesseln. 

Nervös, wie er war, nickte Gavín nur und tat, wie ihm geheißen. Seinen Tee hatte er nicht angerührt und er war gerade froh darüber, denn seine Hände zitterten leicht. Eigentlich hatte er sich für ruhig gehalten, aber es war doch etwas anderes, direkt hier zu stehen als darüber zu träumen.

Der Dekan setzte sich direkt vor Kopf, bekam eine Tasse gereicht, während Roland die anderen Meister vorstellte.

Meister Guadulf war Lehrer für Mathematik und Rhetorik, was Gavín lustigerweise durch seine Robe repräsentiert empfand. Vielleicht war es auch Absicht.

Die untersetzte Meisterin hieß Gwynevere und war die Lehrerin für angewandte Magie. Ob Magier sich die Magie als blaue Kraft vorstellten? Dann würde ihre Robe sehr gut passen.

Meister Borgard in seiner grünen Robe war der Lehrer für nahezu alle Sprachen, was Gavín ob seiner Jugend etwas verwunderte. Brauchte man da nicht Jahrzehnte an Wissen und Praxis?

Und als letzter Meister wurde der Hochelb mit dem Namen Sanderae vorgestellt und war der Lehrer für Chemie und Alchemie, was seine silberne Robe wohl teilweise widerspiegeln sollte.

Gavín hatte bereits drei Meister, bei denen er lernen wollte. Wobei, eigentlich fiel nur Meister Guadulf heraus, denn er mochte Mathematik mit den ganzen seltsamen Buchstaben nicht. Aber wer weiß, vielleicht hatte es was mit Magie zu tun und dann ergab alles Sinn?

"Lasst uns beginnen." Rogíer faltete die schlanken Finger im Schoß. "Grabesforscher Balthasar hat uns darüber unterrichtet, dass Ihr und Eure Mutter uns vorstellig werden würdet. Er hat zwar keine Empfehlung ausgesprochen, aber da Ihr den Drachen, die Bewohner von Yenur gefunden habt und eine Empfehlung Eurer Schwester - trotz ihres Status als Schülerin - einiges an Gewicht bei den Lehrern hat, wollten wir die Gelegenheit nutzen, um Euch kennenzulernen." Sein ernster Blick fand Freyrín, die nur eine Augenbraue hob. "Und auch Euch, verehrte Freyrín."

"Einfach nur Freyrín reicht völlig.", lächelte sie über den Rand ihrer Tasse hinweg, was dem Dekan nur ein mildes Nicken entlockte.

"Wohlan." Er räusperte sich. "Master Gavín, Eure Schwester hat Euch in den höchsten Tönen gelobt. Wir verstehen aber, dass Ihr als reisender Druide, dass Ihr nicht viel Gelegenheit für beispielsweise Stochastik, Arithmetik, Alchemie oder höhere Berechnungen der Magie gehabt haben werdet. Oder auch nur Archäologie."

"Das ist richtig, Master...Meister...Dekan?"

"Dekan, aber Meister Rogíer ist auch in Ordnung."

"Gut, dann Dekan Rogíer", was den Meistern ein leises Lachen entlockte, "Ihr seht es richtig. Meine Schwester spricht in hohen Tönen von mir, aber ich will mir diese Töne auch verdienen. Ich weiß, was zwei plus zwei ist und ich kenne vierzig Runen des arkanen Alphabets, einen Teil der Alchemie, Kräuterkunde, vier Sprachen und eine Menge mehr praktischer Dinge. Ich kann mich selbst versorgen und für andere sorgen."

"Das wird sicherlich nicht nötig sein, aber gut zu wissen.", nickte der Dekan salbungsvoll, aber Halivar schien interessierter.

"Für jemanden in meinem Umfeld ist das deutlich sinniger, Dekan."

"Das weiß ich, Meister Halivar. Das steht hier aber noch nicht zur Debatte."

"Ich finde, wenn er sich behauptet, steht es sehr wohl zur Debatte."

Der Dekan schien zu seufzen. "Nun, es wird irgendwann zur Debatte stehen."

"Aber dennoch", sprach der grün gewandte Meister Borgard, "sind vier Sprachen mehr als die meisten gut betuchten Schüler vorzuweisen haben. Zugegeben, sie lernen schnell meistens, aber schon mit vier Sprachen hierher zu kommen ist ein besseres Zeugnis als die anderen haben."

"Dennoch ist er ein Druide.", brummte Guadulf, was sich anhörte wie reibende Schieferplatten. "Viel praktische Erfahrung, aber wird er auch bestehen können?" Er schaute Gavín prüfend an. "Was sind Thaum?"

"Uh...", machte Gavín überrascht. "Druck. Nein, Hitze. Ein Messwert für Hitze."

"Na, immerhin..." Der Meister schien nicht zufrieden. "Was braucht man, um eine Schnittmenge zu erhalten?"

"Zwei Mengen, Meister."

"Gut, gut. - Was ist der Durchschnitt?"

Gav runzelte die Stirn. "Die... Anzahl ... nein, der... hah... Mittelwert aus einer Menge?"

"Lasse ich gelten. Nicht gut, aber besser." Er schaute in die Runde. "Viel mehr brauche ich nicht."

"Schmelzpunkt Silber?", schoss Sanderae plötzlich.

"Etwas unter eintausend Grad, Meister."

"Ja, 962 Grad, um genau zu sein. Was passiert, wenn du Natron in Wasser mischt?"

"Es... wird heiß und blubbert."

"Gut. Siedepunkt von Wasser?"

"Einhundert Grad."

"Was passiert, wenn du höher gehst als die Ebenen zum Siedepunkt?"

"Das weiß ich nicht, ich war noch nie höher als in den Ebenen."

"Schade." Der Elb lehnte sich zurück, machte eine Handbewegung. "Gerne weiter."

"Vierzig Runen?" Meister Logan in der braunen Robe runzelte die Stirn. "Welche sind das?"

Gavín zählte sie auf.

"Welche Bedeutungen haben sie?"

"Soll ich alle aufzählen oder nur die Hauptwerte?"

"Mir reichen die einzelnen Bedeutungen."

Gavín rasselte sie herunter, der Meister nickte und deutete auf Borgard.

"Ruth nah?", fragte er Gavín, der erst irritiert zurückschaute und dann lächelte.

"Hvargh nah, Meister."

"Dara'vah, Gavín. Ulter un sev'a."

"Sev'a dan de nala."

"Sehr gut, Master Gavín." Lächelnd ließ sich Borgard in den Sessel sinken.

"Beherrscht Ihr Magie?" Gwynevere.

"Nein, Meisterin."

"Schade. Wollt Ihr sie erlernen?"

"Wenn ich kein magisches Potential habe?"

"Die praktische Anwendung kann trotzdem gelehrt werden."

"Wo ist dann der Unterschied zur theoretischen Magie?" Er zuckte zusammen. "Ich wollte Euch nicht beleidigen, Meister Roland!"

"Keine Sorge." Der kahlköpfige Mann lachte nur sanft. "Wir ergänzen uns nur halbwegs gut. Heißt, du möchtest in der magischen Theorie ausgebildet werden?"

"Wenn es geht, ja. Ich mag nur keine Mathematik." Allgemeines Nicken und ein paar Schmunzler, Meister Guadulf zuckte mit der Schulter.

"Ihr werdet die Schönheit der Zahlen alsbald zu schätzen wissen, junger Master."

Gavín verneigte sich. "Mit Euch als Meister bin ich mir dessen sicher."

"Noch Fragen?" Der Dekan mischte sich wieder ein, die Handbewegung, die er vollführte, gebot Ruhe und niemand traute sich etwas zu sagen. "Gut. Meine letzte Frage, Master Gavín: was ist der Sinn des Lebens?"

Gavín stutzte. Die Frage war philosophischer Natur, beruhte nicht auf einer Grundlage und konnte weder mathematisch noch chemisch noch mit reiner Logik beantwortet werden. Glaubte er jedenfalls. Oder war es eine Falle? Konnte man diese Frage überhaupt beantworten? Irgendjemand konnte es mit Sicherheit.

"Tut mir leid, Dekan Rogíer, aber das weiß ich nicht.", sagte er nach ein paar Minuten und merkte, dass er schweißgebadet war.

Aus irgendeinem Grunde schien der Dekan erleichtert oder zufrieden und nickte. "Sehr gut, Master Gavín. Eine Antwort eines Weisen würdig. Eure Mutter hat Euch vieles beigebracht."

"Nein, er war schon immer ein gescheiter Junge.", erwiderte Freyrín mit einer leichten Neigung in Richtung des Dekans. "Auch ein Grund, warum ich der Meinung bin, dass eine Chance an Eurer geweihten Institution mehr als nur eine Anerkennung seiner Fähigkeiten wäre."

"Da mögt Ihr Recht behalten." Rogíer erhob sich leise raschelnd. "Wir werden uns nun beraten. Meister Gwynevere, ein Hörschutz, wenn Ihr so freundlich wärt?"

"Ja, Dekan.", murmelte die Frau und sprach ein paar Worte, die Gavín nicht verstand, als sowohl die Meister als auch der Dekan in den abgetrennten Bereich gingen, in denen der Dekan sein Büro hatte.

Eine silbrige Schicht legte sich nach einer Handbewegung von Gwynevere über das Büro und Gavín setzte sich zu seiner Mutter.

"Wie war ich?", fragte er leise, wischte sich die nassen Hände an der Hose ab.

"Gut.", lächelte sie ihn warm an. "An der Aussprache üben wir noch, aber du warst gut. Ich hoffe, Sillana hat nicht übertrieben. Mir scheint, du hast den Dekan zufriedengestellt. Zu den anderen Meistern kann ich wenig sagen."

"Und wenn ich versage?"

"Wieso versagen? Du hast deinen Weg als Druide und wenn du in die Geschichte abtauchen willst, solltest du das tun können, auch ohne die Universität."

"Du wärst nicht enttäuscht?"

"Warum sollte ich enttäuscht sein? Du bist mein Sohn, Sillana meine Tochter. Ich bin stolz auf euch beide, das hängt nicht an einem Ort oder einer Lehre. - Ah, das ging schneller als erwartet."

Gavín stand direkt auf, weil er keinem der Meister den Platz hatte streitig machen wollen, aber die Meister verschwanden aus dem Raum, ohne einen Blick zu verschwenden. Außer Meister Roland, der mit verschränkten Fingern an den Sesseln stehen blieb, und Dekan Rogíer, der sich nun gegenüber Freyrín und Gavín in einem Sessel niederließ.

"Setzt euch, junger Master." Dabei deutete er auf den Sessel neben der Druidin, was Gavín auch sogleich tat, kaum weniger nervös als vorher.

Der Dekan räusperte sich. "Wir haben uns beraten und trotz der kurzen Zeit konnten wir ein wenig zu Eurer Person ermitteln. Eure Schwester hat Erwartungen geschürt, die Ihr nicht aufrechthalten konntet." Gavín verspürte ein unangenehmes Kribbeln am ganzen Körper.

"Aber", fuhr der ältliche Mann fort, "Ihr habt die Erwartungen übererfüllt, die wir in neue Studenten setzen. Oder eher, an Bewerber. Denn Ihr müsst wissen, die Plätze sind begrenzt und unsere Anmeldung geschlossen. Sollte jemand aussteigen, könntet Ihr den Platz desjenigen einnehmen, aber die Chance darauf ist sehr gering.

Daher können wir Euch in diesem Jahr keinen Platz an unserer Universität anbieten."

Gavín sackte zurück in den erstaunlich gemütlichen Sessel. Selbst die Fürsprache seiner Schwester und der Fund des Drachen hatte nicht gereicht. Was hatte er auch erwartet? Dass sie eine Ausnahme für ihn machten?

"Ich höre da einen Zusatz." Freyrín lächelte den Mann an, als wolle sie ihn zu einem Tee einladen, was auch durchaus sein konnte. Tee war immer eine gute Wahl.

"Ihr hört richtig." Die Miene des Dekans blieb unbewegt, sprang auf ihre Ausstrahlung nicht an oder er hatte einfach keine Gefühle, wer konnte das schon wissen?

"Da wir jedes Jahr so viele Bewerber haben, ist auch unser nächstes Jahr ausgebucht. Aber wie Eure Mutter schon richtig vermutet, kommt dort ein aber zustande." Mit den Worten zog er ein schmales Pergament aus den Falten seiner Robe. "Eure Fähigkeiten, eure Kenntnisse sind auf jeden Fall ausreichend für uns. Nicht so übertrieben, wie Eure Schwester es vielleicht meint, aber ausreichend.

Daher haben die Meister und ich beschlossen, Euch einen Platz an dieser Universität anzubieten in zwei Jahren."

"In... zwei Jahren?", fragte Gavín langsam und dann dämmerte es ihm. "Aber mit dem größten..."

"Unter der Voraussetzung", unterbrach der Dekan mit gleichbleibender Stimme, "dass Ihr zum Zeitpunkt Eurer Ankunft die Studiengebühr entrichten könnt, welche sich auf dreißig Golddeut beläuft."

Dreißig Golddeut? Das war ein kleines Vermögen! Seine Begeisterung war plötzlich wie weggefegt. Das war eine horrende Summe!

"Was verbirgt sich hinter dieser Summe?", mischte Freyrín nun auch mit, etwas gelöster als vor einigen Minuten noch.

"Seht, die dreißig Golddeut kommen nicht von ungefähr." Dekan Rogíer goss sich Tee nach und nippte an der Tasse. "Normalerweise braucht ein Student etwa zwanzig Golddeut über den Verlauf seiner Studien, bevor er selbst Arbeit mit unserem Segen aufnehmen kann und uns Geld einbringt.

Wir müssen allerdings davon ausgehen, dass Unvorhergesehenes eintritt. Verletzungen, Unfälle, Materialien gehen kaputt oder müssen ersetzt werden, Kleidung, Werkzeuge und so weiter. Die kauft der Student normalerweise nicht selbst, sondern bekommt sie von uns gestellt. Die wir durch seinen Beitrag bezahlen. So sind die zehn Golddeut dazu da, diese zusätzlichen Ausgaben abzudecken."

"Das schaffe ich!", platzte es aus Gavín heraus. "In zwei Jahren und einem Tag bin ich wieder hier mit den dreißig Golddeut. Versprochen."

"Mir braucht Ihr nichts zu versprechen, junger Master." Der Dekan erhob sich, Gavín und Freyrín folgten. "Versprecht es Euch selbst. Mit diesem Schriftstück", damit reichte er Gavín die Schriftrolle, "weist Ihr Euch aus und habt unser Versprechen. Zwei Jahre und einen Tag, Master Gavín."

"Zwei Jahre und einen Tag.", nickte Gavín, verneigte sich und war erleichtert. Zwei Jahre und dreißig Golddeut? Ein geringer Preis für die Aufnahme.

Please Login in order to comment!