Stein um Stein

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Die Sonne stand bereits voll und rund knapp über dem Horizont am Himmel, als Gavín seine Arbeit im Labor antrat. Er war zerzaust, seine Robe etwas unordentlich - von dem, was er unter der Robe trug, wollte er nicht anfangen -, er hatte leichte Kopfschmerzen und Durst.

Gegen den Durst konnte er in den Laboren einiges unternehmen, hier gab es immer Wasser und davon goss er einige Becher in sich hinein.

Vielleicht hätte er noch etwas essen sollen. Nun war es zu spät, er musste mindestens noch bis zum Mittagessen warten.

"Gavín!", grüßte ihn jemand ein Stück zu enthusiastisch und er verzog das Gesicht, als er sich Sillana zuwandte.

"Nicht so laut.", grummelte er sie an, kniff die Augen zusammen.

"Oh, lange Nacht?", grinste sie breit, lehnte sich neben ihn an den Tisch, den er gerade abgewischt hatte.

"Gar keine Nacht."

"Seit wann zechst du die Nächte durch?"

"Habe ich nicht." Er wischte energisch über einen Fleck, der sich wie eingebrannt verhielt. "Zwei Becher Met, nichts gegessen, viel Wasser."

"Dabei sind doch keine Prüfungen. Was hast du getan?"

"Können wir das nachher besprechen, wenn ich weniger Kopfschmerzen habe?"

Sillana zuckte mit den Schultern. "Wie du willst. Ich wollte dich nur darüber unterrichten, dass Meister Logan dich nach dem Mittag sehen will."

"Meister Logan?" Der Mann hatte Gavín irgendwann unter seine Fittiche genommen und sich mit Meister Halivar während der ersten Prüfungen darauf geeinigt, dass Gavín Archäologie und Runenkunde als Schwerpunkte nehmen sollte. Einfach, weil er als angehender Archäologe wenig mit Rhetorik zu tun haben würde, damit fiel Meister Guadulf schon fast automatisch raus. Meisterin Gwynevere wäre in Kombination mit Meister Roland eine feine Wahl gewesen, aber da Gavín keine Magie wirken konnte, von der inhärenten Magie durch sein Druidentum mal abgesehen, fiel auch hier die Wahl nicht schwer.

Meister Sanderae mit Chemie und Alchemie war an und für sich interessant, aber wie bei den meisten Schülern eher ein unterstützendes Fach, auch wenn Gavín den Hochelb sehr mochte, trotz seiner der den Elben fast hochnäsigen Art.

Meister Borgard hatte auch mildes Interesse bekundet, das lag aber mehr daran, dass Gavín durch seine Reisen "vorbelastet" war und gute Voraussetzungen mitbrachte. Allerdings gab es wenig gute Argumente dafür, Sprachen als einen seiner beiden Schwerpunkte zu setzen.

Also wurde es Archäologie mit Runenkunde. Gavín war dabei keine Besonderheit, jeder Schüler musste zwei Schwerpunkte wählen, einige wählten sogar drei wie zum Beispiel Sillana, die sich Archäologie, magische Theorie und Sprachen als Schwerpunkte auserkoren hatte.

"Ja." Sillana legte ihre Bücher neben den Fleck, den Gavín nun endlich wegbekommen hatte. "Ich rate dir dringend, nach dem Unterricht zu schlafen."

"Nein, erst muss ich dir etwas erzählen und dann gehe ich schlafen."

"Gut, wie du willst." Sie schob ihn etwas zur Seite. "Nun geh, ich muss hier gleich arbeiten. Meister Halivar zeigt uns heute, wie wir Wasser nutzen können, um Funde freizumachen."

"Jetzt erst?"

"Ja." Sie tippte ihm gegen die Schulter. "Los, verschwinde, bevor du wieder Ärger bekommst. Ich sehe dich nachher."

"Schon gut, schon gut." Gavín sammelte seine Tücher, den Lappen und die Reinigungsflüssigkeit - eine chemische Substanz aus Seife und reinem Alkohol - ein, bevor er das Labor verließ, welches für ihn gerade ein wenig zu hell erleuchtet war. Damit konnte er eigentlich schon etwas früher zum Mittagessen gehen, was den Vorteil hatte, dass er die besten Klöße, Stücke Fleisch - wenn er es denn aß - oder den frischesten Salat oder auch einfach das frische Brot bekam.

Heute gab es zwei dicke Suppen mit Brot und einen Eintopf. Die Universität scherte sich wenig darum, was die besser gestellten Schüler zum Mittag bekamen. Wenn sie lieber hochwertige, teure oder luxuriöse Mahlzeiten haben wollten, so sollten sie es sich selbst leisten und in der Stadt besorgen können. Für Gavín, der bohrenden Hunger kannte, war jedes frische, noch warme Brot ein Luxus.

Die Tomatensuppe mit Brot und einem Klecks Sahne reichte völlig aus, um seinen Hunger zu stillen und seine Lebensgeister für den Moment wieder zu erwecken. Die Kopfschmerzen vergingen davon nicht völlig, aber wenigstens fühlte er sich ein Stück besser. Die Lichtempfindlichkeit blieb, als er sich auf dem Weg zum Büro von Meister Logan machte, welches nahe der Vorlesungsräume auf der rechten Seite des universitären Hauptgebäudes lokalisiert war.

Gavín fuhr sich durch die zerzausten Haare, um sie ein wenig zu ordnen, bevor er klopfte. Zwei Herzschläge, drei, zehn, achtzehn...

"Herein!", tönte es und Gavín öffnete die helle Eichenholztür. Das Büro war auf einer Seite vollgestopft mit Büchern, Schriftrollen und Notizen, die andere Seite wurde von einer Sitzecke und einem Schreibtisch beherrscht. In einzelnen Regalen lagerten Nachbildungen von Runen oder wurden von Ständern aufrecht gehalten. Einige schienen uralt zu sein oder waren so hergestellt worden.

"Master Gavín." Logan deutete auf einen der beiden erstaunlich unbequemen Holzstühle vor dem Schreibtisch, Meister Halivar stand bereits neben dem Schreibtisch und begutachtete ein zylinderförmiges Objekt, welches er zwischen den Fingern drehte. "Bitte, setzt Euch."

"Habt meinen Dank." Gavín tat wie ihm geheißen.

"Lange Nacht?", fragte Meister Halivar, ohne die Augen von dem Objekt in seinen Händen zu nehmen. Gavín hatte rasch festgestellt, dass der Meister seine Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte seiner Umwelt gleichzeitig aufteilen konnte, nicht nur auf zwei oder drei.

"Keine Nacht."

"Oh? Dann hoffen wir, dass es nicht zur Gewohnheit wird, Eure Leistungen sind bisher noch weitaus lobenswert."

"Nein, Meister. Ich habe die Silbersaiten getroffen."

"Ist das so?" Die scharfen Habichtsaugen des Mannes blitzten nun in seine Richtung. "Eine gute Entschuldigung für eine nicht-vorhandene Nacht."

"Deswegen sind wir aber nicht hier!", unterbrach Meister Logan mit einer energischen Handbewegung. "Über eure Eskapaden könnt ihr euch später noch austauschen. Konzentration!"

"Ja." Halivar verstaute das Objekt in einer seiner unendlich wirkenden Anzahl an Taschen und lehnte sich neben Meister Logan an den Schreibtisch. "Master Gavín, wisst Ihr, warum Ihr hier seid?"

"Das ist eine Fangfrage.", brummte Gavín, versuchte das Licht aus dem Fenster schräg vor ihm weitestgehend zu ignorieren. "Ihr habt meiner Schwester nicht gesagt, um was es geht und ich bin mir keiner Schuld oder Unrechtmäßigkeit bewusst, geschweige denn, dass meine Leistungen bei Euch unterhalb eines gewissen Schnitts gefallen sind."

"Präzise.", nickte Logan. "Auch, wenn wir eigentlich keine Fangfragen stellen; Ja oder Nein hätte gereicht."

"Ja, Meister."

"Weiter also. Habt Ihr Euch schon einmal mit den Prüfungsvorgaben auseinandergesetzt?"

"Mit den generellen Prüfungen?"

"Nein, mit den Rangprüfungen."

"Ich hörte nur, dass es verschiedene Ränge gibt. Meiner wäre Sedimentfinger im Moment."

"Richtig. Der nächste Rang wäre Felsenarm." Die Mundwinkel des älteren Meisters hoben sich für eine Sekunde. "Denkt bitte keinen Augenblick, dass Ihr eine Sonderbehandlung erhaltet. Wir gehen so mit jedem Schüler vor, egal, ob adlig, Bauer, Prinz oder Druide."

"Nein, Meister."

"Und gescheit ist er auch noch." Logan zog eine leere Pergamentrolle heran, deren äußere Schutzhülle aufwändig verziert worden war. "Unsere Prüfungsordnung sieht eine Prüfung in zwei Teilen vor. Der erste Teil ist unsere schriftliche Prüfung, die Ihr bereits kennen solltet.

Der zweite Teil besteht aus einem Projekt, was Ihr Euch ausdenkt, konzipiert, bestellt, baut und durchführt im Zuge einer Präsentation. Diese Präsentation wird vor mir, Meister Halivar und zwei zufällig ausgewählten anderen Meistern gehalten, die Euch dann nach verschiedenen Kriterien bewerten. Eine Liste der Kriterien gibt es in der offiziellen Prüfungsordnung, die Ihr hier habt." Zwei dicht beschriebene Pergamentblätter gesellten sich dazu.

"Wie lange habe ich dafür Zeit?"

"Steht auch in der Prüfungsordnung." Logan zuckte wieder mit dem Mundwinkel. "Aber um es kurz zu machen: bis zum letzten Tag des laufenden Jahres."

"Und...was für ein Projekt soll das sein?"

"Das ist euch überlassen." Meister Halivar schaute aus wie ein Junge beim Geschenke auspacken. "Überrascht uns doch einfach. Es wäre doch langweilig, wenn wir Euch alles vorgeben, oder?"

 

 

~~

 

 

"Deine Aufgabe ist einfach", sprach Sillana, als sie sich in ihrem Zimmer trafen und sie die Prüfungsordnung vor sich ausgerollt hatte, "du musst ein Projekt durchführen, welches alle Komponenten deiner Ausbildung und deines Könnens vereint mit Schwerpunkt auf Archäologie und Runenkunde. Bis zum Ende des Jahres."

"Das habe ich verstanden.", nickte Gavín. "Ich habe auch verstanden, dass es einen Mehrwert bringen soll und im besten Fall sogar der Universität helfen kann. Aber wie finde ich heraus, was die Universität braucht?"

"Gar nicht." Seine Schwester ließ sich in ihrer etwas luftigeren Kleidung auf ihr Bett sinken, Gavín saß an ihrem Schreibtisch. "Das ist nicht das Ziel. Du musst etwas schaffen, was dir oder anderen helfen kann mit Schwerpunkt deiner... naja, fachlichen Schwerpunkte. Es klingt zwar danach, als müsstest du hier deine Abschlussprüfung machen, aber so übertrieben ist es nicht."

"Und das alles neben der normalen Unterrichtszeit?"

"Ja, natürlich." Sillana schaute ihn ungläubig an. "Bist du nicht der Druide, der stundenlang neben Mutter in Wunden gewühlt hat, um Soldaten vor dem Tod zu retten?"

"Menschen, nicht Soldaten.", grummelte Gavín verstimmt. "Ich war nur neugierig, ob wir dafür mehr Zeit bekämen."

"Nein, natürlich nicht." Sie hob ihre Hand. "Im Grunde musst du nur über zwei Sachen intensiv nachdenken: wie können mir Runen in meiner Tätigkeit als Archäologe helfen?" Sie zeigte zwei Finger. "Damit hast du das Gröbste schon erreicht. Und dann denkst du darüber nach, wie dein Projekt den anderen Sparten helfen kann. Mein Tipp? Nimm etwas Praktisches. Irgendetwas, was du auch mit ins Feld nehmen kannst."

"Und wenn ich bestehe? Darf ich mein Projekt dann verwenden?"

"Die Antwort darauf ist einfach: das kommt darauf an." Sie grinste schelmisch.

"Auf was?"

"Auf die Meister. Es ist schade, dass du jetzt erst hier bist. Als Meister Irmgard noch hier war, gab es noch die große Werkstatt, wo du viel von ihr hättest lernen können. Angeblich sind sie noch auf der Suche nach einem Meister für Mechanik, aber ich bin nicht sicher, ob das noch stattfinden wird."

"Na dann... und auf was kommt es jetzt an?"

"Auf die Bewertung der Meister. Je nachdem, was du als Projekt nimmst, bekommst du entweder nur deine bestandene Prüfung oder eine Lizenz zum Vertrieb des Projekts oder die Universität kauft es selbst und pro Verkauf bekommst du einen Anteil an den Verkäufen."

"So etwas gibt es?", runzelte der Druide die Stirn, nahm ihr die Prüfungsordnung ab und überflog die Zeilen. "Davon steht hier aber nichts."

"Du musst das ganze Werk lesen, das hier sind nur die Bedingungen für die Prüfung." Sillana legte sich lang auf ihr Bett, schob ihr Kissen in den Nacken und streckte sich, irgendwo knackte es leise. "Also, da du das Projekt allein stemmen musst, kann ich dir dabei nicht helfen. Aber du wolltest mir sowieso etwas erzählen, also...fang an, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."

"Kennst du Amara Silberharfe?", platzte es aus Gavín heraus, die Prüfungsordnung landete klappernd auf ihrem Schreibtisch, schon wieder halb vergessen.

"Den Namen habe ich schon einmal gehört.", murmelte Sillana nachdenklich und saugte kurz an ihrer Unterlippe. "Eine Sängerin oder so etwas?"

"Ja!", rief er aus. "Deswegen war ich die Nacht nicht im Bett. Ich bin ihnen begegnet auf dem Marktplatz und da sie Alt-Zwergisch sangen, bin ich nach meiner Lieferung an Meister Roland zu ihnen zurück. Sie sind toll!"

"Ach ja?" Sillana drehte sich auf die Seite, ein leichtes Lächeln umspielte ihre schmalen, leicht geschwungenen Lippen. "Erzähl, warum sind sie toll? Abgesehen vom Alt-Zwergisch."

"Weil...weil... weil..." Gavín gab ein genervtes Geräusch von sich. "Warte, Worte." Er holte tief Luft und begann von vorne.

"Da ist dieser Kulthari Caelliara. Er hat so eine tolle Stimme und er redet dabei auch noch, als würde ihm jeder geduldig zuhören und es ist ja auch so. Ich bin noch nie einem Kulthari begegnet und nun stand einer direkt vor mir..." Wieder seufzte der Druide, dieses Mal aber eher genießerisch, als er in den frischen Erinnerungen schwelgte. "Er ist größer als erwartet und man kann sich sehr gut mit ihm unterhalten."

"Was spielt er?"

"Oh, die Panflöte. Und wohl auch Hufe, aber das scheint kein Instrument zu sein, sondern seine eigenen Hufe."

Sillana zuckte mit dem Mundwinkel. "Sehr witzig. Größer als erwartet bedeutet...?"

"Oh, einen Kopf größer als ich." Gavín deutete die ungefähre Größe des Kulthari mit der Hand über seinem Kopf an.

"Das ist deutlich größer ja."

"Aber wir haben auch die andere Seite." Gavín senkte die Hand auf etwas über seinem Bauchnabel. "Der Trommler Yanmaec ist ein Zwerg. Kein Dunkelzwerg, einer der Alten. Ich habe ihn gehört; oh, Sillana, ich habe ihn gehört und gefühlt, seine Trommeln sind so...durchdringend. Mich wundert, dass sie nicht noch in der Universität zu hören waren."

"Ich bekomme eh nichts mit, wenn ich arbeite. Außer, jemand macht mir wieder etwas kaputt."

"He, nicht gerecht, das war nur einmal!"

"Ja, es hat mich Wochen an Arbeit gekostet!"

"Es tut mir immer noch leid!"

"Gut!"

"Ja! Kann ich weitermachen?"

"Mach doch."

"Mach ich auch." Gavín grinste breit. "Sie haben ein sehr interessantes Paar. Ribald als Mensch und Cinsihe als Mondelbin. Ich weiß nicht, wie und warum, aber sie sind ein Paar geworden." Er grinste verschämt. "Sie hat mich geküsst."

"Oh?" Sillana stützte sich auf ihrem Ellbogen auf. "Zuerst die beiden Damen aus Methellona, jetzt eine Mondelbin? So hatte ich meinen Bruder gar nicht eingeschätzt. Erzähl, wie war sie?"

"Uh... kalt. Irgendwie. Sie hat eine weitaus niedrigere Körpertemperatur als Menschen. Es war... interessant. Es fühlte sich an, als hätte mich jemand geküsst, der vorher seine Lippen an etwas sehr Kaltes gehalten hat."

"Und sonst?" Ihr Grinsen wurde breiter.

"Nichts sonst. Wir haben uns ein paar Minuten geküsst, dann ist sie wieder zu Ribald. Ihre... uh..." Er deutete auf seinen Arm. "Diese Malereien sind auch kalt. Also, kälter als ihre restliche Haut. Ich weiß nicht, welche Art von Magie das ist, aber es muss etwas mit dem Mond zu tun haben."

"Bei den Mondelben sollte irgendwas mit dem Mond zu tun haben?" Sie schnaufte. "Glaube ich nicht."

"Spar dir den Sarkasmus. Wahrscheinlich sind die Sonnenelben dann wärmer?"

"Willst du dich durch alle Betten schlafen, die du bekommen kannst, um es herauszufinden?", neckte sie ihn.

"He, das ist auch nicht gerecht. Ich habe nur Diana und Anette gehabt. Ich kann doch nichts dafür, dass sie mich geküsst hat."

"Ich will dich nur ärgern. Geht mich auch nichts an."

"Aber neugierig bist du doch."

"Sicher. Ich bin deine Schwester, natürlich will ich alles wissen.", lachte sie hell, ihre Augen irrlichterten vor Schalk. "Sag mir nicht, du hast diese Amara auch geküsst?"

"Nein." Er verzog leicht das Gesicht. "Ich hätte gerne, aber ich glaube, sie ist daran nicht interessiert."

"Aber du?"

"Nun, sie ist wahnsinnig intelligent, sieht gut aus, hat beim Reden eine sehr angenehme Stimme, ist tierlieb und taucht tief in die Geschichte ein; welche Geschichte auch immer sie gerade habhaft wird. Außerdem ist ihr ganzer Wagen voll mit Schriften."

"Und wie sieht sie aus?"

"Schlank, grüne Augen, rote Haare, muss ich mehr sagen?"

"Nein, danke, das reicht mir. Männer." Sillana legte sich wieder auf den Rücken.

"Ich kann da gar nichts für."

"Nein." Sie machte eine kreisende Bewegung mit der Hand. "Weiter?"

"Ja. Also, sie waren bei den Dunkelzwergen und haben da dieses Lied schreiben müssen in fünf Tagen. Und wenn es der Königin nicht gefallen hätte, wären sie einen Kopf kürzer gemacht worden."

"Da sie noch am Leben sind, hat es wohl gefallen."

"Das hat es wohl und sie haben es mir vorgesungen. Amara nennt man auch Feuerstimme und ich kann verstehen, warum das so ist. Wie brennendes, flüssiges Silber oder sehr, sehr heißer Met."

"Übertreibst du da nicht?"

"Mitnichten. Sie hat mir ihre Harfe gezeigt und ich durfte Katze streicheln."

"Ihre Katze?"

"Nein, Katze. Das ist wohl ihr Name."

"Seltsam."

"Eh, Künstler." Gavín zuckte mit einer Schulter. "Du hättest sie sehen müssen. Wie sie mir von Alamori, den Zwergen und den Büchern berichtet hat. Nun erforschen sie weiter Lanialellara und auch darüber haben wir stundenlang geredet. Über Lithrodil, die Ruinen drumherum, den Engel an sich. Es gibt so vieles, was nicht einmal die Kirche weiß oder nicht möchte, dass wir es wissen..."

"Möglich ist das wohl. Aber höre ich da heraus, dass du dich verliebt hast?"

"Eh, ein wenig vielleicht. Ich würde es eher als Schwärmerei bezeichnen. Aber würden sie mich fragen, ob ich irgendwann mit ihnen reisen kann, würde ich es tun."

"Aber du kannst weder singen noch ein Instrument spielen."

"Das stimmt allerdings." Wieder hob er beide Schultern. "Ja, das war mein Erlebnis von letzter Nacht. Daher bin ich nicht ins Bett gegangen."

"Für mich marginal entschuldbar, aber verständlich." Sie drehte den Kopf zu ihm. "Ist auf deinen nächtlichen Ausflügen in letzter Zeit irgendetwas passiert?"

"Nein, gar nichts. Entweder halten sie sich zurück, haben aufgehört oder planen ihre nächste Gemeinheit."

"Ich würde nicht davon ausgehen, dass sie aufgehört haben."

"Ich auch nicht." Er nickte ihr auffordernd zu. "Wollten sie etwas von dir?"

"Nein, bisher nicht. Ihre Blicke ziehen mich entweder aus oder bringen mich um oder beides, genau kann ich das nicht sagen, aber solange es nur Blicke sind, kann ich damit leben."

"Gerade das macht mir Sorgen. Ich sollte ein Auge auf dich haben."

"Nein, du solltest dich auf deine Prüfung konzentrieren. Ich habe mir einiges von dir abgeschaut und ich bin nicht die einzige, die ätzende Säuren mischen kann."

"Verstehe." Gavín erhob sich, gähnte und streckte sich. "Dann werde ich dich nächtigen lassen, ich brauche definitiv noch ein paar horizontale Stunden. Also, Schlaf, meine ich."

"Sicher." Sie zwinkerte. "Mach die Tür hinter dir zu."

Gavín tat es, nachdem er die Prüfungsordnung und seine wenigen Habseligkeiten mitgenommen hatte. Nun musste er sich etwas ausdenken, um zum Felsenarm ernannt zu werden.

Großartig.

 

~~

Die Monate zogen ins Land und Gavín machte sich erst Gedanken und dann Kopfschmerzen darum, was in seinem Projekt für den Felsenarm am besten geeignet wäre. Dadurch, dass er - abgesehen von seinem Gang in die Ruinen von Yenur - keine Erfahrung mit echten Ruinen hatte, die zusammenstürzen konnten oder in Trümmer lagen, waren die Anforderungen des Projektes sehr diffus in seinem Kopf und er konnte sich wenig darunter vorstellen. Daher war die aufwändig verzierte Schriftrolle, die seine Projektbeschreibung beinhalten sollte, auch bisher unberührt geblieben.

Die zündende Idee kam ihm später, aber dazu kommen wir noch. Er hatte Amara und ihrer Gruppe die Lieferliste gezeigt, auf der Anette und Diana standen, als sie von den Silberfischen verschleppt worden waren. Natürlich standen ihre Namen nicht im Klartext auf der Liste, sondern waren anders beschrieben, aber das Alter und die Herkunft passten zusammen. Die Umschreibung der beiden schien auf Metzgerarbeit zu beruhen, niemand würde "Kuh, 82kg" mit einem Menschen in Verbindung bringen, jedenfalls nicht auf Anhieb.

Niemand versprach ihm irgendetwas bis auf das Detail, dass sie Augen und Ohren offenhielten. Sie waren Musiker, keine Spione oder Krieger, jedenfalls offiziell nicht. Yanmaec und Cinsihe konnten beide mit Waffen umgehen und Caelliara hatte durchaus genug Wucht in den Hufen, um als Waffe zu gelten, aber eigentlich waren sie Musiker.

Gavín malte sich keine Zukunft aus, in der er als strahlender Held in ein Gebäude marschierte, die Frauen freikaufte oder mit Gewalt befreite. Er wusste, dass er als Druide und - hoffentlich - späterer Archäologe weder die Mittel noch die Gewalt besaß, um überhaupt irgendetwas zu tun.

Verflucht sei sein nicht vorhandenes magisches Potential, etwas, was ihm geradewegs hätte nützlich sein können.

Sergius stellte ihm eine Falle. Gavín wusste anfangs nicht, dass es eine Falle war oder auch, dass Sergius dahintersteckte, aber die Handschrift war eindeutig.

Dieses Mal war es allerdings kein tumber Überfall, dem Gavín mit etwas Rauch und Säure entkommen konnte. Dieses Mal nutzten sie Sillana und eine ihrer Freundinnen. Thabo konnte dazu nicht eingespannt werden, aber dazu später mehr.

Eines der größeren Probleme als Normalsterblicher war, dass man häufig wenig bis keinen Rückhalt hatte, sei es finanziell oder anders. So kam es, dass Sergius sich auf besagte Freundin - Marie - stürzte. Denn sie hatte Rückhalt von ihrer Familie, aber das Problem war, dass auch diese Familie Schulden hatte. Zumindest war das die Information, die Gavín irgendwann bekam.

Was hat Sergius also getan? Die Antwort ist so einfach wie teuflisch: er wies einen Mittelsmann an, die Schulden der Familie zu kaufen, sodass sie nun Schulden bei Sergius' Familie hatte. Diese waren wohl beträchtlich und würden nur erlassen werden in dem Fall, dass Marie Sergius half.

Ein kleiner Preis für die Familie, ein riesiger Preis für das Gewissen der jungen Frau, denn sie half. Zuerst lockte sie Sillana in etwas, was von außen aussah wie eine Taverne für eine "Feier". Als sie schon das eine oder andere Ale getrunken hatten, brachen vermummte Gestalten in die "Taverne" ein, schlugen Marie bewusstlos und sperrten Sillana ein. Als Marie wieder zu sich kam, sollte sie Gavín holen, was sie auch tat.

Was Sergius und Freunde allerdings nicht wussten und, soweit Gavín es wusste, auch nie herausbekam, war die Tatsache, dass Marie diejenige war, die Meisterin Gwynevere und Meister Roland holte, denn Marie begegnete Helga, ihrerseits eine Freundin von Marie und Sillana. Eine rasche Schilderung später trennten sich die Wege, Helga holte die Meister und Marie den Druiden, der schneller vor Ort war als die älteren Meister.

"Sil?", rief Gavín, als er vor der verschlossenen Eichentür stand.

"Ich bin hier.", kam es genervt von hinter einem der kleinen Fenster, welches ein Stück geöffnet worden war. Keines der Fenster war groß genug, um sich hindurch zu quetschen. "Wenn ich die erwische, mache ich sie fertig..."

"Erstmal herauskommen."

"Ja, das Problem ist, ich stecke im Schankraum. Es gibt noch eine Tür, du wirst beide öffnen müssen."

"Hm, das könnte problematisch werden. Hätte ich doch mal gelernt, wie man Schlösser knackt im Fall, dass ich einer holden Maid zur Hilfe eilen muss."

"Spar es dir. Nach deinen Ausflügen hätte ich sogar fast gesagt, du nutzt es, um entweder einzubrechen oder dir Zugang zu holden Maiden zu verschaffen."

"Sil, du stellst mich dar, als würde ich illegale Sachen machen."

"Entschuldige, das tust du ja nicht.", kam es von der anderen Seite. "Aber ein diebischer Druide, der seiner Liebe hinterher rennt? So ein Buch gibt es mit Sicherheit nicht."

Gavín fischte aus seiner Robe eine einzige Phiole Säure. Zu mehr hatte es nicht gereicht, er hatte sich auf einen Kampf eingestellt und war daher mit Juckpulver, Rauchbomben und explodierenden Bärlappsamen bewaffnet. Also, die Samen selbst explodierten nicht, aber die alchemistische Substanz in den Phiolen, vermischt mit Zündsteinen, tat es und erzeugte dabei einen durchaus glaubhaften und erstaunlich kräftigen Feuerball.

"Du kannst es ja schreiben.", bot Gavín an, entkorkte die Phiole und träufelte auf das, was er von dem Schloss der Tür sehen konnte, ein paar Tropfen der zersetzenden Flüssigkeit.

"Wenn ich etwas künstlerische Freiheiten haben darf."

"Solange du nicht lügst, ist es mir egal."

"Möchtest du dann auch ein paar Elben und Zwerge in deinem Leben haben?"

"Da ich es nicht bin, über den du da schreibst, ist es mir egal.", wiederholte Gavín, hörte es aus dem schmalen Loch leise zischen. "Ein paar Minuten noch. Hast du da drin wenigstens etwas zu trinken?"

"Ja, leider ist das Ale nicht so gut wie gedacht."

"Schade. Was wolltest du überhaupt hier?"

"Marie hatte etwas zu feiern und holte mich her. Dass sich irgendwer gerade heute aussuchen musste, um das hier zu überfallen..."

"Hm hm.", brummte Gavín nichtssagend. Ihm schwante Übel, das klang ihm zu verdächtig beziehungsweise es klang ihm zu sehr nach Zufall. "Was hatte sie denn zu feiern?"

"Schuldenfrei zu sein."

"Gut für sie. Nein, wirklich." Er probierte mit einem kräftigen Zug an der Klinke, ob das Schloss bereits nachgaben, was es nicht tat. "Nicht jeder hat so reiche Eltern oder hat es sich erarbeitet wie wir beide."

"Wohl nicht.", seufzte es von der anderen Seite. "Habe ich dich aus irgendetwas herausgeholt?"

Gavín war froh, dass sie nicht irgendjemand gefragt hatte.

"Nein, ich wollte nur noch etwas nähen und dann ins Bett gehen."

"Was denn?"

"Meinen Phiolengürtel. Einige der Halterungen sind gerissen oder nicht mehr ganz so fest."

"Verstehe ich. Wie schaut es mit deinem Projekt aus?"

"Noch keine Idee."

"Immer noch nicht?"

"Nein, ich... als Druide hätte ich dir bestimmt ein Dutzend Dinge nennen können, welche die Medica besser machen könnte oder etwas entwerfen, was ihr helfen würde. Aber das ist leider nicht einer meiner Schwerpunkte, daher bin ich als Archäologe gerade etwas untauglich."

"Hast du dir die vergangenen Projekte angeschaut?"

"Das ist doch nicht erlaubt?"

"Doch, wieso nicht?" Sillana schien erheitert zu sein. "Du holst dir keine Inspiration aus der Vergangenheit? Was für ein Archäologe bist du denn?"

"Warte..." Gavín runzelte die Stirn. "Sag das nochmal."

"Was für ein Archäologe bist du denn?", kam es unsicher von seiner Schwester.

"Nein, das davor."

"Inspiration aus der Vergangenheit?"

"Ja, Sil. Du bist genial!"

"Ich weiß, aber wieso..."

"Nah, erzähl ich dir später." Wieder probierte er es mit der Schulter und dieses Mal gab das Schloss knirschend nach, der Haltebolzen klimperte im Gehäuse und die schwere Tür schwang nach außen auf. Der Gang hinter der Tür war kaum erhellt, nur zwei einsame Kerzen und die von Sillana erwähnte verschlossene Tür waren zu sehen. Ein schwerer Balken war angebracht worden und schien noch recht neu zu sein, zumindest die Halterungen.

Ja, das war mehr als nur verdächtig. Zumindest waren an der Außentür keine Halterungen für Blockaden.

"Ich bin drin.", sprach er in den Gang und wünschte sich, er hätte eine Lampe mitgenommen, als er den schweren Holzblock aus der Halterung hob und polternd zur Seite fallen ließ.

"Hallo." Sillvana sah gut aus, sie hatte sich für die Feier etwas besser angezogen als ihre normale Arbeitsrobe. Davon ab sah sie mehr wütend als verängstigt aus. "Hast du hier jemanden gesehen?"

"Nein, du?"

"Auch nicht." Sie atmete tief ein und trat in den Gang, als etwas klirrend in den Gang geflogen kam, die Tür von außen krachend ins Schloss geschlagen wurde und irgendjemand mit einem Hammer gegen die Tür hämmerte. Gavín rannte rammte die Tür mit der Schulter, aber diese wackelte nur unbeeindruckt im Rahmen. Auch diese Tür war vernagelt worden.

Hinter ihm war das fliegende Etwas zu Bruch gegangen und nun leckten Flammen an der Innenseite des Gangs empor. Heiß und hell, chemisch mit einer Art Brandbeschleuniger befeuert. Gavín konnte nicht sagen, was es war, aber es war auch egal. Er war nicht stark genug für die Tür und sie würden hier im Gang verbrennen.

"In den Schankraum!", bellte er seine Schwester an und drückte sie durch die andere Tür, verschloss sie wieder. "Das wird nicht ewig halten. Das ganze Gebäude ist aus Holz."

Mit den Fingern ging er seine Phiolen durch, aber keine davon konnte Holz sprengen, geschweige denn die steinerne Außenseite des Gebäudes. Die Säurephiolen würden nicht schnell genug wirken und wenn er sie schon schneller umbringen wollte, könnte er die Feuerphiolen verwenden.

"Und jetzt?", fragte Sillana, schien weniger in Panik zu geraten als Gavín erwartet hatte. Er fühlte sich jedenfalls panisch genug. "Was war jetzt dein Plan?"

"Uns...Zeit zu verschaffen?"

"Toll. Kannst du uns den Weg freisprengen?"

"Nein. Ich kann uns aber an Ort und Stelle verbrennen, dann müssten wir nicht warten."

"Genau das, was ich brauche." Sie gab ein genervtes Geräusch von sich, als wäre sie jetzt wieder auf sich allein gestellt. "Wie schnell kann sich deine Säure durch Stein fressen?"

"Nicht schnell genug. Ich habe auch keine Säure dabei, die stark genug wäre, um etwas derartiges zu tun." Er breitete energisch die Arme aus. "Ich war nicht darauf vorbereitet, mir den Weg aus einem Gebäude zu sprengen. Höchstens zu fliehen oder jemanden zu blenden."

"Ja, schon gut." Sillana riss eines der Fenster auf, als Rauch durch den Türspalt, unter der Tür und durch einige Lücken in der Wand drang. Das Fenster würde zwar den Brand beschleunigen, aber auch den Rauch fernhalten. Gerade hatten sie die Wahl zwischen ersticken oder verbrennen, beides keine guten Optionen.

"Du meinst, das wird helfen?"

"Nein, aber wir können rufen. He, Feuer!", brüllte Sillvana aus dem Fenster, da kam von irgendwo etwas geflogen, traf sie an der Schulter und schleuderte sie zurück an die Wand. Ein Wurfmesser steckte ihr in der Schulter.

"Sil!" Gavín fing sie auf, als sie an der Wand herunterrutschte.

"Au...", grummelte sie gequält, hielt sich die Stelle der Schulter, in die das Messer eingedrungen war. Blut sickerte bereits aus der Stelle in ihre Kleidung. "Da will uns jemand tot sehen."

"Ich kann mir auch schon denken, wer das wohl sein könnte..."

"Ja, aber da haben wir gerade keine Zeit für und ohne Beweise...argh... kannst du nicht irgendwas tun?", fuhr sie ihn plötzlich an. "Das tut weh!"

"Schrei mich nicht so an." Er seufzte. "Dein Kleid werde ich wohl ruinieren müssen. Ich brauche Bandagen."

"Mach doch, das Blut kriege ich nie wieder raus, das ist hochwertiges Leinen."

"Ah, da habe ich Mittel für, aber..." Gavín zog seinen Dolch und begann Streifen abzuschneiden, während Sillana das Messer stillhielt. Der Druide spürte bereits die Hitze des Feuers in seinem Rücken. Sillana verzog das Gesicht. Bandagen aus ihrem teuren Kleid, was eine Verschwendung.

"Gut, das sollte reichen." Die Streifen waren unterschiedlich lang, sodass er einen provisorischen Druckverband erzeugen konnte. "Wir müssen das Messer herausziehen. Du musst Druck ausüben, während ich deine Schulter frei mache, ja?"

"Nur keine falsche Scheu...", zischte sie zwischen den Zähnen hervor. Gavín verzog leicht das Gesicht, als er den Dolch ansetzte. "Was, wirst du jetzt zimperlich, weil ich deine Schwester bin?"

"Nun, das könnte sein..."

"Ich bin deine Patientin, also mach schon. Ich hab nichts, was du nicht schon kennst."

"Das wäre seltsam.", brummte er schmunzelnd, begann dann den Stoff zu zerschneiden. Hinter ihm knisterte es bereits bedrohlich, einzelne Stücke Holz fielen bereits brennend in den Schankraum. Wenn sie nicht bald eine Lösung hatten, würden sie hier verbrennen oder ersticken und alles wäre umsonst gewesen.

Gavín packte den Griff des Messers, schaute Sillana an, die sich versteifte und nickte. Er zog und bevor sie überhaupt schreien konnte, hatte er ihr das Kleid zerschnitten, die Schulter freigelegt und presste bereits die ersten Lagen Stoff auf die blutende Wunde.

Antiseptisch war anders.

"Festhalten.", brummte er, dann fixierte er das Provisorium mit den längeren Bändern und zog es fest. "So, das sollte halten. Kannst du stehen?"

"Ja." Sillana klaubte das Wurfmesser auf, bevor sie sich mit seiner Hilfe erhob. "Und jetzt?"

"Jetzt..." Gavín schaute sich um, begutachtete den Kamin aus Stein, schaute in den Schlot, schüttelte den Kopf. "Schauen wir, dass wir irgendwie herauskommen."

Sein Weg führte ihn hinter die Theke, wo er eine Falltür bemerkte. Auch diese war versperrt worden mit einer dicken Kette, aber die Reste der Säure aus seiner Phiole würden kurzen Prozess mit dem Haltebolzen im Schloss machen.

"Ich habe eine Idee!", rief er Sillana zu und hoffte, dass die Leute draußen es nicht so gut vernehmen konnten und Gegenmaßnahmen trafen. Er winkte ihr zu und sie kam heran, das Wurfmesser immer noch wie zur Abwehr in der Hand.

"Woran denkst du?", fragte sie über das lauter werdende Knistern und Brausen des Feuers hinweg.

"Ein Keller. Stein." Gavín deutete auf das rauchende Schloss. "Egal, ob es einen Ausgang gibt oder nicht, der Boden ist ebenfalls aus Stein oder Erde und nur die Tür aus Holz. Mit etwas Glück können wir uns da verstecken. Ich weiß nämlich nicht, wie wir herauskommen sollen und genug Wasser oder nicht brennbaren Alkohol zum löschen haben wir nicht."

"Und ich glaube, genügend Druck irgendwie aufbauen schaffen wir auch nicht, weil auch deine Phiolen nicht stark genug sind?"

"Habe ich auch schon drüber nachgedacht, aber die Erfolgswahrscheinlichkeit erscheint mir sehr gering." Etwas klimperte leise im Schloss. Der Druide nickte und zog den Haltebolzen aus dem Schloss, entfernte klirrend die schwere Kette und öffnete die Falltür. Beinahe sofort zog das Feuer mehr Sauerstoff, weil es irgendwo eine weitere Öffnung im Keller gab, krachend fielen die ersten dicken Bretter aus der brennenden Wand.

"Runter da, schnell!", kommandierte Gavín und schirmte Sillana mit seinem Körper ab, als die Flammen glühend heiß aus dem Gang in den Schankraum schlugen und ihm die Nackenhaare und bestimmt einiges an seinem Schopf versengten.

Sillana war trotz Verletzung schnell unten, es waren kaum acht Stufen auf einer Holztreppe. Gavín folgte rasch und sollte Recht behalten mit seiner These, dass der Raum gut abgeschottet war. Ein Großteil der Decke bestand aus Stein und Erde, die Wände völlig aus Stein bis auf etwas, das wie ein alter Kamin ausschaute, dessen Schlot allerdings zugemauert war und nur noch als Lagerraum herhalten konnte.

Die schräge Klappe nach außen war zwar vorhanden, aber ebenfalls mit einer dicken Kette von innen und vermutlich auch von außen verschlossen. Gavín hatte keine Säure mehr, die er nutzen konnte, also waren sie hier gefangen. Zumindest hatten sie hier eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als oben im exponierten Schankraum.

"Ideal ist anders.", meinte Gavín, deutete auf die Ecke nahe der Klappe nach draußen. "Das sollte reichen, damit wir nicht sofort gebraten werden und im Zweifel kann der Rauch abziehen."

"Wie kannst du nur so ruhig dabei sein?", fragte Sillana, lehnte sich an die Steinwand, sie war bereits von Ruß und Schweiß gezeichnet und es sah seltsam wild aus.

"Ich habe Angst um dich." Er ließ den Blick schweifen. Nur Regale und viele Flaschen, fast alle leer, ebenso wie die großen und kleinen Fässer. "Aber es bringt nichts, in Panik zu verfallen in einer Situation, die ich nicht ändern kann. Also arbeite ich mit dem, was ich habe, und das ist nicht viel. Würdest du sagen, wir haben getan, was wir konnten?"

Das Halbdunkel des Kellers, nur spärlich beleuchtet durch das Feuer, welches durch die Ritzen der inneren Kellertür schien, zeigte Sillana nachdenklich.

"Hm, ich denke schon." Sie seufzte. "Ich glaube kaum, dass wir etwas anders hätten machen können. Vielleicht darauf achten, ob man beobachtet wird, aber wer denkt denn noch zusätzlich an so etwas?"

"Ich, aber nur bei meinen Lieferungen." Er schnaubte. "Eigentlich hätte ich es tun können, als Marie mir sagte, dass du in Schwierigkeiten steckst."

"Warte, Marie hat dich geholt?" Ihr Kopf ruckte in seine Richtung. "Sie wurde von diesen Leuten entführt und zusammengeschlagen."

"Und dich haben sie hiergelassen?"

"Ja...jetzt...warte, das war keine Falle für mich, sondern für dich? Argh, Gav! Ich habe dir gesagt, dass das Konsequenzen haben wird. Aber du musstest ja Öl ins Feuer gießen und jetzt verbrennen wir hier noch!" Frustriert setzte sie sich auf den dreckigen Steinboden. "Alles hat Konsequenzen!"

"Das weiß ich!", schoss er zurück. "Hast du Anette und Diana vergessen? Meine Einmischung? Weil ich so egoistisch war, habe ich mich mit den Silberfischen eingelassen und eine Menge Leute hatten deswegen Ärger." Er knirschte mit den Zähnen. "Und die beiden sind jetzt irgendwo..."

"Als ob das an dir liegt.", schnaufte sie. "Wahrscheinlich war es einfach nur Pech. Aber das hier, das ist etwas anderes. Du musstest dich unbedingt einmischen und dich mit dem Adel anlegen. Ich hätte ihnen auch einfach meine Bücher ins Gesicht dreschen können, aber du musst ihnen ja unbedingt ihre Noten ruinieren."

"Warte, das habe ich dir nie erzählt..."

"Halte mich nicht für dumm. Und wenn ich es weiß, wissen Sergius und seine Freunde es auch." Sie deutete genervt mit dem Wurfmesser an die Decke. "Beweisstück Eins und Beweisstück Zwei!"

Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange und sie wischte sie energisch weg, was den Ruß noch mehr verschmierte. "So dumm, so toll..."

Über ihnen brach irgendetwas zusammen und sie hörten das freudige, hungrige Röhren der Flammen, die nun neue Nahrung bekamen. Irgendetwas krachte laut polternd zu Boden, Dreck rieselte von der Decke. Gavín schob sich neben die sich sträubende Sillana, um sie zu schützen, so gut es eben ging, Steindecke hin oder her.

"Master Gavín?", tönte plötzlich eine tiefe, laute Stimme von außerhalb. "Mistress Sillana?"

Beide schauten sich an, dann sprang Gavín auf, hämmerte an eine kleine Stelle der schrägen Kellertür. "Hier, wir sind hier!"

"Da drüben!" Eine weibliche Stimme, Schritte näherten sich. "Sie sind gefangen. Weg, verschwindet, ja auch du, Roland. - Master Gavín, weg von der Tür!"

Der Druide packte Sillana am Arm, half ihr hoch und sie zogen sich zu einem der größeren Fässer zurück. "Wir sind weg!"

"Ist das Gwynevere...?", flüsterte Sillana, Gavín schüttelte nur den Kopf. Konnte sein, aber wirklich erkannt hatte er die Stimme nicht. Doch wer sonst würde Meister Roland anfahren, dass er verschwinden sollte?

Sie hörten nichts außer dem Knacken, Knistern, Brodeln und Röhren der Flammen über ihnen, die Falltür hinter der Theke sah auch so aus, als würde sie nicht mehr lange halten, die dicken Bretter glühten bereits rot, Glut hatte sich durchgefressen und verbranntes Holz tropfte herab wie Wasser.

Beide zuckten zusammen, möglicherweise schrie sogar einer von ihnen, vielleicht war es sogar Gavín, als die Kellertür wie von der Hand eines Riesen einfach aus ihren Angeln gerupft wurde. Die Kette riss klirrend, Kettenglieder fielen klimpernd über die Stufen nach unten.

Eine Gestalt in einer Robe sprang herunter, die kurzen Haare waren eindeutig.

"Raus, jetzt!", rief Meister Roland ihnen entgegen, kam in ihre Richtung und schirmte sie beide vor der Feuersbrunst ab, als Gavín und Sillana Richtung Ausgang hechteten.

Auf der Straße vor dem Gebäude stand in der Tat Meisterin Gwynevere, grimmig und mit erhobenen Händen. Ein gutes Dutzend eiserner Runen schwebten vor ihren ausgebreiteten Händen in der Luft und bildeten einen glühenden Kreis, Kraftlinien flirrten zwischen den Runen und woben eine Art rotglühendes Spinnennetz. Die heißen Winde ließen ihre Robe flattern und ihre pechschwarzen Haare wehen.

"Los!", rief Roland, zerrte Sillana und Gavín an ihrer Kleidung weg von der lichterloh brennenden Taverne, als langsam eine der Wände zusammenfiel und in die feurigen Überreste fiel.

Gwynevere ließ es sich nicht zweimal sagen, drehte den Kreis um ein paar Grad in der Luft. Wind kam auf, ein gewaltiger Sog wie von einem Wirbelsturm, ausgehend von den glühenden Eisenrunen. Die zerborstene Kellertür lag mitsamt der Ketten achtlos weggeworfen ein paar Meter die Straße runter.

Flammen schlugen in Richtung der Meisterin, leckten gierig ob des bevorstehenden Mahls und mussten dann zu ihrer Enttäuschung feststellen, dass das Runennetz sie zu sich zog. Hitze, Rauch, Flammen, alles folgte dem Willen der Meisterin, funkenstiebend und glühend.

Meister Roland schirmte die beiden Schüler immer noch mit seinem Körper ab, aber Gavín konnte genug sehen und war wieder einmal maßlos über seine eigene Magielosigkeit enttäuscht und dann sehr beeindruckt von der Kraft, die Gwynevere aufbrachte.

Nein, beeindruckt war nicht das richtige Wort. Ehrfürchtig traf es eher. Das war also die Macht einer Meisterin.

Meisterin Gwynevere ließ die Hände sinken und fiel dann auf die Knie, die rotglühenden Runen fielen schwer und klirrend zu Boden.

"Nicht anfassen.", murmelte sie und hielt die drei anderen Personen auf Abstand. "Geht gleich wieder."

Einer der Kopfsteine zersprang unter der großen Hitze der Runen.

 

 

 

Später in der Medica.

Sillana saß auf einem der Betten aus Metall, abgeschirmt von den Männern durch einen blickdichten Vorhang, Gavín auf einem Stuhl, nachdem ihn Meisterin Melania untersucht und für unverletzt erklärt hatte. Über eine Rauchvergiftung konnte sie nur spekulieren, aber da er wenig Probleme mit der Atmung hatte und, vom Zittern der abklingenden Adrenalinschübe abgesehen, keine weiteren körperlichen Symptome hatte, kümmerte sie sich um seine Schwester.

Meister Roland wog das Wurfmesser in der Hand, drehte es vorsichtig hin und her. "Keinerlei Markierung, nicht einmal das Zeichen des Schmieds.", kommentierte er seine Beobachtungen. Meisterin Gwynevere saß neben ihm und nahm einen kräftigenden Kräutersud zu sich, den Meisterin Melania ihr gebraut hatte. Aus Erfahrung wusste Gavín, dass der Sud selbst kräftigend war, aber schmeckte wie ein Schlag ins Gesicht.

Medizin sollte auch wirken und nicht schmecken.

"Ihr wisst nicht, wer es war?" Der Blick des Mannes durchbohrte Gavín fast.

"Meister, es..." Er seufzte. "Wir haben eine Vermutung, aber aktuell keine Beweise."

"Was ist mit Helga?", fragte Gwynevere leise von ihrem Stuhl aus. "Sie kam uns holen."

"Mehr als fragen können wir eh nicht.", wandte Roland zustimmend ein, steckte das Wurfmesser in eine seiner vielen Innentaschen in der Robe. "Eure Beschreibung ist sehr dürftig. Wir werden uns beraten und auf Euch zukommen, sollten wir weitere Fragen haben, die diese Situation aufklären können."

"Zu Euren Diensten.", verneigte sich Gavín im Sitzen. Roland half Gwynevere von ihrem Stuhl und aus der Medica. "Meisterin, wie geht es meiner Schwester?"

"Es tut weh!", fauchte Sillana hinter dem Vorhang hervor. "Was dachtest du denn?"

"Frage beantwortet!", rief er zurück und er hörte von der Meisterin ein amüsiertes Kichern.

"Du hast Glück gehabt, Mädchen." Gavín hörte eine Schere. "Das wird eine hübsche Narbe geben, aber mehr nicht. Der Muskel wird sich von selbst reparieren. Meine Anweisung ist einfach: nicht allzu schwer heben und diese Salbe auftragen."

Damit reichte sie Sillana etwas. "Verbände alle zwei Tage wechseln sollte reichen. Wenn du Beschwerden hast oder die Wunde sich entzündet, komm sofort her. Nicht warten, keine Heldentaten, nichts ist wichtiger als deine Gesundheit."

"Ja, Meisterin." Sillana klang sehr kleinlaut. "Danke, Meisterin."

"So wollte ich das hören. Jetzt husch ins Bett mit euch."

Sillana trat hinter dem Vorhang hervor, ihr zerrissenes Kleid schmutzig, löchrig von Funken und Glut und sie sah seltsam bezaubernd aus. Bis sie Gavín trotzig die Zunge rausstreckte.

Ja, ihr ging es gut.

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